Einakter

Alles, was die zwölf Zeilen überschreitet - aber auch noch nicht an die Länge der Slamgedichte/die Vortragsdauer von drei Minuten (oder mehr) heranreicht.

On the road again & das zweihundertsiebenundfünfzigste Gedicht

Olympiapark München

Ach, was war das für eine entspannende Zeit: zehn Tage Tourpause. Und jetzt weiter im Text.

Das Leseband

Es hängt das Lesebändchen stur
Sinnlos baumend, scheinbar munter
Zweckverwaist als Buchmontur
Sich nicht rein, nur rücklings runter

Wie ist noch dieses Buch gewesen
Das ich scheinbar hab gelesen?
Sagt das Band, ich wollt dran denken
Es schnellstmöglich zu verschenken?

Oder meint es: "Gib dem Buch
Einen weiteren Versuch!"
Ist's ein Signal, es sei so schlecht geschrieben
Dass nicht mal sein Bändchen drin hängen geblieben?

Nun war ja des Bändchens ureigener Sinn
Zu zeigen, wie weit ich gekommen bin
Doch mitleidsbefreit sagt das Band jetzt: "Du Tor!
Bist so weit als wie zuvor ..."

Olympiaturm & das zweihundertvierundfünfzigste Gedicht

Olympiaturm München

Immer noch anderthalb Tage Freizeit, bevor es wieder auf Tour geht.

Der Parasit

Der Schatten der Bäume flüstert leise:
"Leg dich, Dichter, hin zu mir!
Ich bin alt, erhaben, weise ...
Will in ein Gedicht von dir!"

"Nun," sprach ich, "das lässt sich machen
Sollst mein Werkeln heut bedachen!"

Doch dann bin ich eingeschlafen
In des Zwielichts kühlen Hafen
Und trotz treu bescherter Träume
Schrieb ich nie was über Bäume

Hab mich oft dort rumgetrieben
Wegen der Behaglichkeit
Doch sie selbst blieb unbeschrieben

Das tut mir unsagbar leid

Halbzeitendspurt & das zweihundertneunundvierzigste Gedicht

Nordkette Innsbruck

... ich schlittere also unaufhaltsam zum Gedicht Nr. 250. In Demut.

Quastgedicht

Und wieder bin ich nur Plakat
Kein Vers, der gärt zum Attentat
Kein Reim, der keimt im Bällebad
Und steht den Wille-Stil-Spagat
Denn wieder bin ich nur Plakat

Und abermals bin ich Plakat
Bin Habermas und Dekanat
Bin strukturiertes Destillat
Im selbst verhängten Zölibat
Schlussendlich immer nur Plakat

Och!
Doch:

Wo halbgegart heißt noch zu scharf!
Besteht noch viel Plakatbedarf

Marienklausensteg & das zweihundertsechsundvierzigste Gedicht

Marienklausensteg

Isar-Spaziergänge. Und ein Gedichte-Marathon. Zehn Gedichte in zwei Tagen - mit der 250 zur Halbjahreswende vor Augen. Rest folgt in Kürze.

Der Blick von Außen

Der Spiegel irrt sich - das kann ich nicht sein!
Ich fordere nun Materialproben ein
Mit der Bitte zu prüfen, wieso dieser Mann
Die Darstellungskraft meiner Spiegel gewann
Er breitet sich aus - infiziert alle Schichten
Die, ihn widerspiegelnd, mein Abbild vernichten
Es steht zu befürchten, ich gleich' mich ihm an
Sobald ich den Anblick gewohnt bin und dann
Ist er der Herr im Hause hier
Und gilt als Original von mir

Wie lang kann dann noch die Gewissheit besteh'n
Das Bestreben, mich selbst doch ganz anders zu seh'n?

Ich besprüh' jetzt die spiegelnden Flächen im Haus:
"Die Wirklichkeit sieht anders aus!"

Strandbad & das zweihundertneununddreißigste Gedicht

Strandbad Wörthersee

Weiterhin im Strandbad.

Die Schwimmerinnen (und ich)

Bikini-entfliehendes Po-Gebacke
Spitz beschriene Spritzattacke
Rötlich in Nöten geratende Rücken
Triefend nass sich nach den Handtüchern bücken
Bald reglos aalend eingedöst
Bäuchlings verdeckend das Top-Teil gelöst
Achsel-entblößendes Von-sich-Gestrecke
Seufzend gemächliches Anmutsgerecke
Dessen Strahlkraft lasziv schon manch Iris beschien
Auch jüng'rer Herren Phantasien
Und honigmilchchloriger Sonnencremeduft
Entschwebt sich in regungslos bräsige Luft

Ich lieg ausgestreckt da, in frottiertem Gedanken
Auf sonnenerwärmten, schon farblosen Planken
Unter mir einladend schwappende Fluten ...
Doch ewigkeitsheuchelnde Sonnenminuten
Bin abkühlungssatt ich zu nichts mehr bereit
Und schenk' meinem Körper alleine die Zeit

Wörthersee & das zweihundertachtunddreißigste Gedicht

Strandbad Wörthersee

Im Strandbad.

Wörtersee

Es schwamm mal ein verstörtes Reh
Des samstags durch den Wörthersee

Ach nee, ich seh:
War gar kein Reh
Vielmehr ein Stör, den ich verreht
Des' Redlichkeit nun jäh verdreht
Weil ich so Wörter, die ich seh' -
Von denen some ich nicht versteh' -
Mit Tags verseh', die immerhin
Ergeben - wenngleich schwammig - Sinn

Doch grade hör' ich - quel malheur!
In Wirklichkeit war's auch kein Stör

Da ich nun her- und hingekramt
Verbleibt der Vers voll sinnverarmt

Und entspricht als Gedicht - so gedacht' ich im Stillen
Absolut nicht meinem Willen

Zürichhorn & das zweihundertachtundzwanzigste Gedicht

Zürichsee

Blick vom Zürichhorn. Und ein Plädoyer für das störungsfreie Bedichten:

Der See

Tausend Sonnen blitzen im Wellen-Geschwappe
Hundert Himmel bebläuen den Horizontboden ...

Ein Entenpaar schnattert: "Ach, halt deine Klappe!
Wir hassen der Dichter Erpressermethoden
Ihr solltet euch schämen mit euern Bebildern
Den Eindruck von Schönheit so schändlich zu lenken!
Als sei die Empfindung nicht anders zu schildern
Als wär'n die Herrn Dichter nur fähig zu denken!"
Ich nicke sanft, schenk' ihnen Brot
Das Gift drin wirkt vor Abendrot

Und schwer wie Blei senkt sich die Ruhe
Auf das abendplane Rund
Das Gequake und Gebuhe
Schweben durch den See gen Grund

Frankfurt & das zweihundertzweiundzwanzigste Gedicht

Frankfurt am Main. Fußgänger-Einflugschneise vom Bahnhof.

Frankfurt am Main. Fußgänger-Einflugschneise vom Bahnhof. Alt vs. Neu.

Auf der Bank

Wenn das Junge sich über das Alte erhebt
Und den ersten Geschmack seiner Reife erlebt
Gerät dies oft rauschhaft und unbalanciert
Was freilich im Eifer kein Schwein int'ressiert

Und doch müssen all die gewachsenen Bachen
Den berstenden Ferkeln stets Übermut machen
Ermuntern zum abermals nächsten Versuch
Bewundern: "Ja, hast du denn noch nicht genug!?"

Man war ja schließlich auch mal jung
Durchlebte jenen Überschwung
So selbstverliebt wie unverfror'n
Doch ging mit dem Haar auch der Ehrgeiz verlor'n

Nun, lasst uns die Jugend mit Nachsicht betrachten
Gleich wie man vordem uns getan
Wir rücken eins auf auf dem Bänkchen zum Schlachten
Und sie steht direkt hintenan

Theaterhinterhöfe & das zweihundertfünfzehnte Gedicht

Thalia Theater Hamburg

Drei Theater - der gleiche Eindruck: Da waren wenig Menschenfreunde am Innenausbau der Garderoben beschäftigt.

Kein Platz so grau

Kein Platz so profan wie die großen Theater rücklings umgürtelnden Neonlichtgänge
Wo Künstler und Technik im Hektikgedränge
Auf grau meliert grauem Linoleum knarzen

Kein Platz so gefühllos und unglamouriert als der Bau hinter wuchtigen Stahlbrandschutztüren
Wo aus Garderoben die prächtigsten Roben sich bühnenwärts in eine Scheinwelt entführen
Wie Sicherheitsvorschriften fliehende Parzen

Von scheppernden Boxen zum Auftritt gerufen
Rutschfester Noppenbelag auf den Stufen
So, wo ging's hier noch mal lang?
Hinweiszettel, Kabelstrang
Ein Wegegewirr, das ins Nirgends sich streckt
Verwaist weiße Wände, vom Anseh'n verdreckt
Sich ans hinterkulissige Dunkel gewöhnen
Feuerwehrmänner beim feixenden Klönen
Wegweiserpfeile am Aufgang entdecken
Gelbschwarz gebrandmarkte Kopfanstoß-Ecken
Und dann stracks sich vom Eindruck der Taubheit befrei'n

Freilich, dafür musste Schauspieler sein!

Frühstück & das zweihundertdritte Gedicht

Hopfenfelder

Bevor der Tag beginnt, sitzt man manches Mal bereits im Zug. Und rauscht an Hopfen und Hoffnung vorbei.

Spätes Frühstück

Nun,

Dem frühen Vogel mag
Jeden Morgen, jeden Tag
Etwas Wurmverwandtes langen

Doch Nachtigall,
Die Nacht war geil -
Da brauche ich um anzufangen
Vorneweg, direkt zum Start:

Weck-Gebäck, das knusperzart
Jäh verweht des Schlafes Schwere,
Wenn ich's beim Kaffee verzehre

So legt auf die Gabel
Derweil ich noch gähne
Ein Starthilfekabel
Für Ozeankähne
Es werden dann, schon halbwegs klar
Der Tag und ich ein spätes Paar

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